Motivieren statt blind agieren in der Physiotherapie
Aktivität und Eigeninitiative als Schlüssel zum Behandlungserfolg
Wenn man Menschen bittet, sich vor ihrem geistigen Auge die Behandlung in einer Physiotherapiepraxis vorzustellen entsteht meist ein typisches Bild: Der Patient liegt auf einer Liege, ein Physiotherapeut oder eine Physiotherapeutin werkeln mit verschiedenen Behandlungstechniken an ihm herum und irgendwann geht es ihm besser.
DAS PASSIVE BILD
Auch wir erleben regelmäßig, dass die Patienten mit genau dieser Vorstellung zu uns in die Therapie kommen. Sie möchten sich hier behandeln und „gesund machen lassen“. Diese sehr passive Einstellung – „Der Therapeut wird das schon machen. Ich muss nichts tun und lehne mich einfach zurück, während er oder sie ihre Wunder wirken.“ – ist jedoch ein großer Trugschluss.
WAS IST PHYSOTHERAPIE WIRKLICH?
Primär ist Physiotherapie etwas, das der Patient tut, bzw. was er gemeinsam mit dem Therapeuten macht. Es ist also etwas sehr Aktives, das jeder Patient mitgestaltet, aber keinesfalls etwas, das mit dem Patienten gemacht wird, wie eine Massage, bei der manchmal entspannen und sich behandeln lassen, ausreichend sein mag.
Denn die passiven Maßnahmen, die selbstverständlich im Zuge des Behandelt-werdens auch stattfinden, verändern nicht die Kapazitäten und Kompetenzen. Sie machen nicht stärker, resistenter oder belastbarer. Doch genau das sind die Ziele einer erfolgreichen Physiotherapie.
Schmerzen oder Probleme entstehen meist dann, wenn die Anforderungen auf verschiedenen Ebenen unsere Ressourcen oder Kapazitäten übersteigen. Das ist die Wurzel vielen Übels, gegen die es gezielt vorzugehen gilt.
DER FOKUS HEUTE
Deshalb sollte die moderne Therapie ganz anders aussehen als das eingangs beschriebene Bild. Denn bei einer zeitgemäßen Physiotherapie steht stets der Patient im Mittelpunkt, einschließlich der Maßnahmen, die dieser selbst ergreifen kann. Es sollte eine Therapie sein, die
- Verständnis für die Problematik zeigt,
- Selbstmanagement fördert und
- Aktivität in den Vordergrund stellt.
INSPIRATION
Der australische Physiotherapie Professor Peter O´Sullivan sagte:
„Physiotherapie bedeutet, Menschen Strategien zu geben, um wieder die Kontrolle über ihr Leben zu erlangen und sie wieder dahin zurückzubringen, wo sie hinwollen.”
Dieser Grundgedanke zeigt sehr klar, was eigentlich hinter einer nachhaltigen physiotherapeutischen Maßnahme steckt. Es wird deutlich, dass die Ziele der Patienten entscheidend sind, genauso wie die Tatsache, wie viel Bereitschaft und Vermögen dieser zeigt, aktiv an seinen Behandlungserfolgen mitzuwirken.
HINDERNISSE AUF DEM RICHTIGEN WEG
Doch warum sind Patienten manchmal nicht dazu in der Lage ihre Ziele zu erreichen? Was hält sie davon ab? Es ist oft nicht nur eine einzelne Struktur, die für das Problem verantwortlich ist. Folgende Fragestellungen sind in diesem Zusammenhang in Bezug auf die Patienten wichtig:
- Was denken sie über das Problem?
- Wie gehen sie mit ihrem Problem um?
- Was sind die Gedanken über das Problem?
- Welche Barrieren gibt es, die verhindern, dass sie ihre Ziele erreichen können?
- Welche Pläne werden aufgezeigt, um den Zielen der Patienten näher zu kommen? Welche individuellen Strategien kommen jeweils in Frage?
Mit einem Augenmerk auf all diese möglichen Problemstellungen geht es darum, den Patienten wieder in sein Gleichgewicht zu bringen. In das Gleichgewicht von Belastung und Belastbarkeit.
WIE DIE PHYSIOTHERAPIE DEN MENSCH SIEHT
Einer unserer wichtigsten Grundsätze ist: Der Mensch muss als Ganzes gesehen werden. Nur so kann eine Therapie nachhaltig gelingen. Es muss stets der Mensch im Gesamten betrachtet und behandelt werden, nicht nur ein Knie, eine Schulter oder ein anderes einzelnes Gelenk.
Viel mehr noch: Man muss den Menschen nicht nur in seiner Ganzheitlichkeit sehen, sondern zusätzlich auch wieder in Einklang mit seiner Umgebung und seiner Umwelt bringen.
Deshalb hat es oberste Priorität, die eigene Handlungskompetenz des Patienten zu fördern. Es ist unabdingbar, dass dieser selbst aktiv werden muss, schließlich geht es um das eigene Leben und selbstgesteckte Ziele.
WICHTIGE SCHRITTE AUF DEM RICHTIGEN WEG
Damit wird leicht klar, wohin es bei der Therapie gehen muss. Der Patient muss weg von der Abhängigkeit zum Therapeuten gebracht werden. Stattdessen wir der Patient dazu angehalten, selbst zum Macher zu werden, selbst aktiv zu werden. Und es ist die Aufgabe des geschulten Physiotherapeuten oder der -therapeutin, die Eigeninitiative des Patienten zu fördern, ihm die richtigen Mittel dafür an die Hand zu geben, zugeschnitten auf seine ganz individuellen Bedürfnisse und Fertigkeiten, und ihm zu helfen, eine neue Eigenverantwortung für sich zu entwickeln.
Die Patienten sollten im Laufe der Therapie verstärkt versuchen eine hohe Selbstwirksamkeit zu erlangen. Gestärkt durch die kompetente Anleitung des physiotherapeutischen Fachpersonals müssen die Patienten lernen, an sich selbst zu glauben und die Überzeugung erlangen, durch die eigenen, neu gewonnenen Kompetenzen, Dinge verändern zu können.
Der Patient darf dabei nicht abhängig vom Therapeuten sein und soll seinen Weg zur Besserung eigenständig weiterverfolgen können.
ANLEITUNG HAT OBERSTE PRIORITÄT
Damit dies gelingt, ist es also wichtig, nicht nur passiv zu behandeln, sondern den Patienten Techniken, Werkzeuge und Strategien mitzugeben, die sie dabei unterstützen, ihre Probleme selbstständig zu beeinflussen und zum Besseren zu verändern.
Es ist nicht Sinn der Behandlung, den Patienten so lange wie möglich an die Praxis zu binden. Ganz im Gegenteil: Eigentlich soll der Patient so schnell es geht die Praxis wieder verlassen – mit eigenen Tools, um seine Behandlungserfolge allein weiter zu beeinflussen und auszubauen. Autofahren lernt man schließlich auch nicht, wenn man auf dem Beifahrersitz sitzt. Der Patient muss lernen seine Probleme mit Hilfe physiotherapeutischer Anleitung nach und nach selbst in die Hand zu nehmen.
So leistet der kompetente Physiotherapeut von heute also Hilfe zur Selbsthilfe.
WAS IST DABEI ZU BEACHTEN?
Hierbei gilt es, stets sehr empathisch vorzugehen und jeden Patienten individuell und detailliert einzuschätzen. Es müssen die folgenden Faktoren unbedingt in Betracht gezogen werden:
- kognitive Faktoren: negative Überzeugungen, Schmerzkatastrophisierung
- emotionale Faktoren: schmerzbezogene Ängste, allgemeine Ängste, Depressionen
- soziale Faktoren: Arbeits- und Familienstress
- physisches Verhalten: Bewegungsvermeidung, protektive Muskelschutzspannung
- Lebensstilfaktoren: Schlafstörungen, Inaktivität
- Veränderungen des Nervensystems: gestörte Körperwahrnehmung, veränderte Schmerzmodulation
Dies wird erreicht, indem den Patienten gut zugehört wird, um nuanciert aufnehmen zu können, auf welche Bereiche in der angestrebten Behandlungsweise Rücksicht genommen werden muss und wo ggf. mehr Fingerspitzengefühl gefragt ist.
Zusätzlich ist es von Bedeutung, dass eine gute Beziehung zwischen Therapeut und Patient aufgebaut werden muss. Ein vertrautes Verhältnis hilft dem Patienten, sich zu öffnen und frei und ehrlich Probleme, Hindernisse oder Ängste anzusprechen.
Auch Lachen ist wichtig im Verhältnis zwischen Physiotherapeut und Patient. Denn eine gute Kombination aus Kompetenz und der gezielten Weitergabe von Wissen in einer lockeren Atmosphäre des Wohlfühlens und Verständnisses sind die beste Basis.
WAS BRAUCHT ES NOCH, UM DEN PATIENTEN WEITERZUBRINGEN
Wichtig für die zunehmende Selbstständigkeit des Patienten ist es, alle Schritte und deren Hintergründe – wie sie wirken und warum sie von Bedeutung sind – stets zu erklären. Dementsprechend muss auch eine Beziehung geschaffen werden, in der der Patient sich stets traut, nachzufragen, wenn ihm etwas nicht direkt klar ist.
Weiterhin ist es wichtig, dass der Patient mit seinen Ängsten und Schwächen konfrontiert wird, denn nur so kann er aktiv dagegen vorgehen. Der Therapeut sollte stets bestrebt sein, den Patienten zu motivieren und ihn darin bestärken, weiterzumachen, auch wenn es einmal schwierig wird. Denn oft ist der Weg zum Behandlungsziel ein steiniger. Doch es lohnt sich, wenn Schmerzfreiheit und mehr Lebensqualität am Ende dieses Weges warten. Dies sollte dem Patienten stets wohlwollend vor Augen gehalten werden.
EINE ERFOLGREICHE BEHANDLUNG IST TEAMWORK
Auch den Behandlungsplan erstellt nicht der Physiotherapeut allein, sondern tut dies immer in Zusammenarbeit mit dem Patienten. Dies fördert zusätzlich die Compliance des Patienten, also seine Bereitschaft, am Behandlungserfolg mitzuwirken. Ziele, die man sich selbst gesteckt hat, möchte man erreichen.
Auch die individuellen Schwierigkeiten und Ängste des Patienten müssen identifiziert werden. Warum erreicht er seine Ziele nicht? Dies sollte offen erörtert werden, ganz ohne anklagend zu wirken. Der Therapeut muss allzeit hinterfragen:
- Welche Befürchtungen hat der Patient?
- Welche Emotionen stecken dahinter?
- Wie beeinflusst die Problematik des Patienten sein Leben?
- Was denkt der Patient über seine Problematik?
DIE GESTECKTEN ZIELE ERREICHEN
Wenn dem Patienten immer Zeit und Raum für Feedback gegeben wird und alle Facetten seiner Persönlichkeit, Lebensumstände, individuellen Befindlichkeiten und Umwelt mit in die Behandlung einbezogen werden, kann ein ganzheitliches Behandlungskonzept erstellt werden, dass wertvolle Grundlagen bietet für ein bestmögliches Erreichen der Ziele, die der Patient sich selbst steckt.
Der Therapeut steht ihm beratend und anleitend zur Seite, sodass der Patient mit zunehmender Eigeninitiative agieren und seine Behandlung selbstständig fortsetzen kann.
Auf diese Weise sollte sich das Bild des Physiotherapeuten, der einen „irgendwie gesund behandelt“, schnell auflösen und eher dem eines Lehrers weichen, der Hilfestellung gibt, einen eigenen Weg zu finden, seine Probleme in den Griff zu bekommen.
Wir haben Sie überzeugt? Dann kommen Sie gerne zu uns in die Physiotherapie.
Unsere Praxis in der Hamburger Innenstadt finden Sie hier.
Es ist einfach toll, dass Ihr so gut organisiert seid. Danke auch für die unermüdliche Arbeit, die ihr leistet.
Lg Alisa
Hey Alisa, vielen lieben Dank.